7.
Das Met Office hatte in Mackellars Häuschen ganze Arbeit geleistet. Als ich auf das Gebäude zukam, sah ich ein grünes Motorrad neben der Tür an der Wand lehnen, dessen Lenker gegen die Flechten auf der Steinwand drückte. Drinnen fand ich meinen Koffer, einen Schreibtisch und ungefähr fünf torpedoförmige Wasserstoffflaschen. Außerdem standen dort eine Menge beschrifteter Holzkisten, einige Behälter mit Ätznatron und mehrere neue Steckdosen. Die Stromleitungen waren von der Straße auf Holzmasten hierher verlegt worden. In einer Ecke standen ein Ofen und ein Waschbecken; in einer anderen war eine Tür zu einem kleinen Badezimmer mit rot gefliestem Boden.
Auf dem Schreibtisch lag ein Brief von Gordon Whybrow, meinem vorgeblichen unmittelbaren Vorgesetzten in der Hauptstation in Dunoon. In einer markanten Schreibmaschinenschrift waren die gelieferten Gegenstände aufgelistet. Weiterhin führte der Brief genau aus, welche Wetteraufzeichnungen und Auswertungen ich vorzunehmen hatte. Das Motorrad vor der Tür stehe zu meiner Verfügung bereit, da ich nach einem genauen Zeitplan Wetterballone an teilweise sehr entlegenen Orten aufsteigen lassen solle.
Nach der Lektüre fühlte ich mich ziemlich niedergeschlagen. Es war ja schön und gut, dass Sir Peter mir eine Tarnung gegeben hatte, unter der ich Ryman ausspionieren konnte, aber diese Tarnung selbst war mit harter Arbeit verbunden. Wie sollte ich das alles schaffen? Aber es hatte auch seine guten Seiten. Ich war bislang noch nie Motorrad gefahren.
Als Erstes steckte ich mir also die Hosenbeine in die Socken und ging es ausprobieren. Ich stürzte mehrmals, schleuderte über das Feld und jagte den Rindern Angst ein, aber es machte einen Heidenspaß. Nach einer Stunde hatte ich das Ding einigermaßen im Griff. Matschverschmiert ging ich wieder ins Haus und sah mir die Kisten an.
Ich las einige der Beschriftungen. EDDYSTONE FUNKSONDE, SCHWENKBARES ADCOCK ANTENNENSYSTEM, FUNK-TRANSCEIVER ... Es war auch ein Fernschreiber für den Kontakt mit der Zentrale in Dunoon dabei sowie ein AO, ein Oszillator, mit dem man die Übertragungen der Radiosonde mit einer bekannten Frequenz abgleichen konnte.
Ich nahm eine Wasserstoffflasche in die Hand und schüttelte sie. Sie war leer, was die Behälter mit Ätznatron erklärte. Ich sollte daraus mit einigen anderen Zutaten selbst Wasserstoff herstellen. Das hatte ich noch nie getan, aber ich wusste, dass es anders als in Kew auf vielen kleineren Stationen zum Alltagsbetrieb gehörte. Es wäre praktisch unmöglich gewesen, Meteorologen auf dem Land fertig befüllte Druckbehälter zu liefern.
Da das Auspacken nach einem langwierigen Unterfangen aussah, ging ich erst runter zum Dorfladen und kaufte Brot, Käse, eingelegtes Gemüse und andere Vorräte und machte mich nach meiner Rückkehr an die Arbeit. Um alles zu sortieren, würde ich den ganzen Tag brauchen. Ich fing an, die Kisten mit einer Brechstange - mit der behördlichen Aufschrift BRECHSTANGE - zu öffnen, und gegen Mitternacht war ich fertig. Der Boden war übersät mit Holzsplittern; sie sahen aus wie Pfeile und Speere von einem schrecklichen Massaker der Kolonialzeit.
Als ich in der Nacht im Dunkeln lag, die Kühe im Feld um mich herum husteten und mir der Schieferstaub aus dem Dach ins Gesicht fiel, wenn der Wind blies, freute ich mich richtig darauf, ein paar Wetterkarten zu zeichnen. Kopfstatt Muskelarbeit. Allerdings hatte ich die Instrumente zwar ausgepackt, aber noch nicht vorbereitet.
Nach meiner Morgentoilette am nächsten Tag ging ich hinauf zu Mackellars Hof, um mir Milch zu holen. Der brummige alte Bauer - die Pfeife hatte er selbst zu dieser frühen Stunde schon im Mund stecken - war sehr freigebig und nahm mich mit in die Milchkammer, wo er mit einer Stahlkanne aus einem Eimer schöpfte.
»Behalten Sie die Kanne und bedienen Sie sich morgens einfach selber. Und keine Sorge, wenn meine Frau ankommt und zetert. Sagen Sie ihr, dass Sie meine Erlaubnis haben.«
»Geht klar«, erwiderte ich fröhlich und machte mich wieder auf den Weg den Grashang hinab, wobei ich die milchtropfende Kanne vorsichtig mit beiden Händen vor mich hielt.
Ich frühstückte und testete dann den Audiooszillator. Die regulären Töne, die er produzierte, wurden mit den veränderlichen Übertragungen der Radiosonden an jedem Ballon abgeglichen, die ich mit dem HF-Funkgerät empfangen konnte. Die Signale variierten je nach Steighöhe des Ballons in der Tonhöhe, so dass ich ihre Position verfolgen konnte, während sie meteorologische Daten aufzeichneten.
Der Oszillator war ziemlich laut - er gab eine Reihe von Piepsern von sich - und war sogar von draußen zu hören, obwohl er im Haus auf dem Schreibtisch stand. Er erregte bald die Aufmerksamkeit der Kühe auf dem Feld. Sie bildeten einen Kreis um das Haus, was mich etwas nervös machte. Ihr Anblick erinnerte mich an etwas.
Als junger Mann hatte ich einmal beim Rindertreiben auf einer Farm an der unbefestigten Straße zwischen Blantyre und Zomba geholfen, wo sich ein Freund meines Vaters als Milchbauer versucht hatte. Diese Tiere, die das gelbe Gras zwischen den Hüttenansammlungen der Einwohner fraßen, waren eine Kreuzung aus Schwarzbunten und Afrikanischen Zebus, und sie waren ziemlich umgänglich. Die schottischen Rinder dagegen mit ihren spitzen Hörnern und dämonisch schwarzem Fell wirkten weniger fügsam. Sie betrachteten mich übellaunig mit der Gewissheit des Speziesunterschieds, was mich an Paviane erinnerte, die Löwen ins Auge sehen. Wo war Vickers, wenn ich ihn brauchte, damit er sie ordentlich in die Beine zwickte?
Am Ende meines ersten vollen Tages in dem Steinhaus hatte ich das HF-Funkgerät so weit, dass es Big-Band-Musik vom Home Service spielte, und den Fernschreiber, dass er auf Empfang eingestellt Beobachtungen und Wettervorhersagen ausspuckte. Meine Aufzeichnungen sollten kombiniert mit anderen aus der Gegend per Telex von Dunoon ans Met-Office-Hauptquartier geschickt und ins Gesamtwetterbild eingearbeitet werden. Das wiederum bildete die Grundlage für die Anweisungen an die alliierten Streitkräfte auf der ganzen Welt.
Der Fernschreiber machte Tschuck-tschuck-Geräusche, während die Typen auf das Papier schlugen, das von der Rolle ruckelte und sich auf dem Boden in Schlangen legte. Es machte einem Mut, an all die Met-Beobachter und Mitarbeiterinnen der Air Force und Navy zu denken, die ihre Nachrichten eingaben. Der meteorologische Bereich unter Sir Peter Vaward war gut organisiert. Das musste er auch sein. Man braucht sich nur einmal klarzumachen, wie die konstante Veränderlichkeit des Wetters vor dem Hintergrund des Chaos und Umbruchs des Krieges zu jedem Zeitpunkt neu beurteilt werden muss.
Über globale Wetterinformationen verfügen ist aber nur eine Sache; sie anwenden ist eine ganz andere. Wenn die eigenen Messungen nur ein bisschen danebenliegen - und das tun sie natürlich fast immer -, besteht die Gefahr, dass die Qualität der Daten ganz schnell einbricht. Dann gibt es noch das grundlegendere Problem der Messungen (die geistiger Natur sind), die an bestimmten Größen von Wirbeln vorgenommen werden (die physischer Natur sind) und an anderen nicht. Es gibt immer Skalen und Dimensionen, die unbeachtet bleiben. Und das ist gefährlich, denn es geht ja gerade darum, dass all diese Größenordnungen der Turbulenz miteinander zusammenhängen; sie sind gleichzeitig voneinander abgeschottet und fortlaufend und übergeben Energie von groß nach klein und wieder zurück.
Jede Skala muss als Information betrachtet werden, die zum Verständnis eines möglichen Musters des Ganzen beiträgt; und lange halten diese Wirbel ohnehin nicht an, selbst wenn man sie sieht. Neue Information, ja, aber dann verändert sie sich und dann verschwindet sie - und was hat man wirklich daraus gelernt?
Rymans Methode löste das Problem der fehlenden Dimensionen nicht, aber sie kam der Lösung näher als jede andere davor. Aber die Ryman-Zahl war eindeutig nicht etwas, das man einfach an den Fingern abzählen konnte. Und auch wenn es frustrierend war, dass ich eine Woche warten musste, bis ich mit ihm sprechen konnte, war ich doch dankbar für diese Pause, in der ich meine Gedanken ordnen und seine Methoden mit dem Wetter im Gebiet des Kanals als Testregion so gut wie möglich ausprobieren konnte.
Den zweiten Abend in dem Häuschen verbrachte ich, wie viele andere in den folgenden vier Monaten, mit Berechnungen - manche im Kopf, manche mit einem tintenfleckigen, kerbenübersäten Holzrechenschieber, den ich heute noch habe. Mein Leben bestand in jener seltsamen Zeit darin, kontinuierlichen Bereichen eines allumfassenden Gewusels von Differentialrechnungen eine möglichst hohe Präzision abzuringen.
Berechnungen auf dem Bett. Berechnungen auf dem Klo. Berechnungen beim Rasieren. Berechnungen, während im Radio die Kriegsnachrichten liefen oder - lieber - klassische Musik. Berechnungen beim Essen. Berechnungen, während ich der Tube noch etwas Zahnpasta abrang.
Ringen, ringen, ringen. Ich bin mir sicher, dass ich auch im Schlaf weitertüftelte. Man kann mit einem Problem im Kopf ins Bett gehen und mit der Lösung aufwachen.
Aber nicht bei diesem Problem: Wie konnte man auf strategischer Ebene und lange genug im Voraus eine sichere Wettervorhersage geben, die es Tausenden von Männern erlauben würde, zu Wasser und aus der Luft an einem einzigen Tag und zur richtigen Uhrzeit auf einem Streifen französischer Küste zu landen.